Wie sehen die tragenden Säulen des Wirtschaftsstandorts Region Trier aus, was ist charakteristisch für ihn? Auf diese Frage würden viele Menschen vielleicht spontan antworten: Handel, Handwerk, Dienstleistung; ein bunter Branchenmix und eine gesunde mittelständische Struktur. Stimmt alles. Doch wie hält die Region es mit der Industrie? Spielt das produzierende Gewerbe nur in großen Ballungszentren eine wichtige Rolle? Weit gefehlt. Die Fakten sprechen eine andere Sprache. In der Region findet man vielleicht nicht viele Industrie-Riesen mit Tausenden Mitarbeitern, aber: Jeder vierte Beschäftigte ist in dem Sektor tätig; 316 Betriebe mit 20 und mehr Beschäftigten geben rund 36 000 Menschen Arbeit.
Regionale Industrieunternehmen sind ein Beschäftigungsmotor, ein stabiler Wirtschaftsfaktor und „steuern auf Wachstumskurs“, wie eine aktuelle Erhebung der Industrie- und Handelskammer Trier ergibt. Der Erfolg liegt nicht zuletzt an den innovativen Produkten, die bundesweit gefragt sind und zunehmend auch die Weltmärkte erobern.
Doch: Wie geht es den Industrieunternehmen tatsächlich? Welche Standortfaktoren belasten, welche begünstigen sie? Wie ist die Befindlichkeit der Betriebe? Wo drückt der Schuh? Was läuft rund? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, haben drei Unternehmen Einblick in ihr Innenleben gewährt.
MIT DER TABLETTIERMASCHINE FING ALLES AN
Da ist zum Beispiel die KOMAGE Gellner Maschinenfabrik KG, die mit 77 Beschäftigten und zahlreichen Auszubildenden in Sachen „Powder Compacting Systems“ weltweit erfolgreich ist und zu den führenden Anbietern von Pulverpressen und Pulverpress-Systemen zählt. Dem Laien muss dieses Geschäftsfeld natürlich erklärt werden, in Kell am See jedoch ist das anders. Dort kennt jedes Kind das erfolgreiche Unternehmen mit seinem Standort in direkter Tuchfühlung zur Gemeinde. „Das ist ein völlig unproblematisches Miteinander. Wir fühlen uns hier sehr wohl und willkommen, ja respektiert“, sagt Geschäftsführerin Margit Gellner.
Die Gründe dafür sind nicht zuletzt historischer Natur: 1908 von Margit Gellners Urgroßvater Bruno Pahlitzsch in Berlin gegründet, wurde der Betrieb 1938 nach Kell verlagert. Tochter Gisela hatte den Juristen Dr. Hermann Gellner geheiratet, der mit der Region um Kell sehr verbunden war. Bis heute hat dieser Name dort einen guten Klang, sogar eine Straße in Kell wurde nach ihm benannt. „Es war damals eine landwirtschaftlich geprägte, eher arme Gegend“, erzählt die heutige Firmenchefin. Industrie habe es nur in großen Städten gegeben. Die Verlagerung brachte erstmals industrielle Arbeitsplätze nach Kell und somit ein wenig Wohlstand. Die Umsiedlung habe wie eine Keimzelle gewirkt, denn nach und nach siedelte sich weitere Industrie an. 1967 hatte Margit Gellners Vater Herbert die technische Leitung des Betriebs übernommen. Als er 1986 viel zu früh starb, übernahmen seine Ehefrau und die Tochter, Margit Gellner, die Verantwortung. Letztere ist seit 1995 Geschäftsführerin. Noch jung an Jahren wollte sie eigentlich Grundschulpädagogin werden. Doch das Unternehmen verkaufen? Nein, das kam nicht infrage: „Was wäre aus unseren Beschäftigten geworden?“, fragt Margit Gellner.
WIR BRINGEN PULVER IN FORM
Die gute Beziehung zu den Arbeitnehmern ist der Chefin ein großes Anliegen: „Jeder ist wichtig. Das ist wie bei einem Zahnrad, alle Räder müssen laufen, damit es funktioniert.“
Und funktioniert es? „Und wie. Unsere Auftragsbücher sind voll. Das gilt nicht nur für heute und morgen“, freut sich Jörg Lindemans, der seit 1997 Betriebsleiter ist. Die High-Tech-Produkte des Systemlieferanten gehen von Kell aus in die weite Welt. „Der Kunde kann die Pressen ganz auf seine Anforderungen hin konfigurieren lassen“, sagt der Diplom-Ingenieur. „Neben der Presse werden auch Automationslösungen angeboten.“ Der Kunde erhalte so aus einer Hand ein auf seine Anwendung spezifiziertes System. KOMAGE produziert für die Elektro-, Automobil- oder die Keramikindustrie; Produkte sind in der Chemie, Pharmazie und auch Raumfahrt gefragt.
Die Erfahrung im Pressenbau wird durch interne und externe Schulungen an neue Mitarbeiter weitergegeben. Neueste wissenschaftliche Erkenntnisse aus den Bereichen Maschinenbau, Elektro- und Energietechnik werden in die Weiterbildung integriert. Die eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung arbeitet eng mit Fachhochschulen und Universitäten zusammen, Studierende können im Unternehmen ihre Abschlussarbeiten schreiben. Es werden Möglichkeiten zum dualen Studium geboten.
Doch womit ist KOMAGE denn nun so erfolgreich? Wie würde es Jörg Lindemans auf den Punkt bringen, hätte er für einen Radiobeitrag maximal 30 Sekunden Zeit. „Das geht gar nicht“, sagt er. Dafür sei das Portfolio zu groß, die Technik im Laufe der Jahre zu speziell und ausgefeilt geworden. Also, zurück zu den Anfängen. Die erste Idee, die 1908 für Furore sorgte, war eine Presse, die erstmals aus medizinischem Pulver Tabletten herstellte. Eine alte Tablettiermaschine ist noch heute im Unternehmen zu bewundern.
Das Grundsystem ist bis heute geblieben. KOMAGE entwickelt und produziert aus allen Arten von Pulver und Salzen spezielle Produkte und/oder die Pressen. Auch wenn man sie nicht immer sieht, Erzeugnisse aus dem Hause KOMAGE begleiten einem im Alltag: Das kann die Dichtscheibe einer Mischbatterie sein, eine sogenannte Kohlebürste, die in jedem Elektromotor vorkommt, Ventilsitzringe, die in der Automobilindustrie gebraucht werden oder Teile eines Lenkradschlosses. „Pulver in Form bringen, aus feinem Puder ein stabiles Produkt machen, das ist unser Metier“, sagt Jörg Lindemans. Egal, welche Branche nach Lösungen sucht, „wir finden sie“. Das Unternehmen beliefere viele Branchen, sei nicht von einem Markt abhängig und deshalb gut aufgestellt.
FÜHLEN UNS WOHL AM STANDORT KELL
Klagen dagegen gehört nicht zum Handwerk der KOMAGE KG. „Richtig, uns gefällt der Standort; die Verkehrsanbindung macht uns keine Probleme; ob bei den Kammern oder im politischen Bereich, wir finden immer einen Ansprechpartner; die Vernetzung ist prima“, erklärt Margit Gellner. Keine Frage, die hohen Energiekosten seien schon ein Thema. Man versuche aber, sich selber zu helfen und arbeite an Feldversuchen, Energie zu sparen. In der Steuerpolitik könnte der Bund Unternehmen entgegenkommen, oder die Verantwortung in Bereichen wie Arbeitsschutz nicht allein den Betrieben überlassen. „Für kleine Unternehmen wie wir, die keine Rechtsabteilung haben, ist vieles nicht immer einfach.“ Gibt es einen Wunsch? „Ja, es müsste stärker ins Bewusstsein rücken, dass wir Qualität liefern. Und dass diese Qualität auch einen Preis hat.“
INNOVATION GEHÖRT ZUM TAGESGESCHÄFT
„Kunden hochqualitative Produkte und Dienstleistungen anbieten, an Verbesserungen der Produkte feilen, hochwertige Produkte für den Weltmarkt herstellen“ – das ist auch das Bestreben von Peter Lepper, geschäftsführender Gesellschafter der TPS-Technitube-Röhrenwerke GmbH. Und ähnlich wie bei der KOMAGE KG ist es kaum möglich, sein Geschäftsfeld in zwei Sätzen zu erklären. 1975 in Ratingen als TPS Technitube Pipe & Steel GmbH gegründet, erfolgte 1978 der Umzug nach Daun-Rengen. Es ist eine Firma der TechniRopa Holding GmbH Daun. Zu ihr gehören wiederum die TechniSat Digital GmbH und die Eifelacker & Wald GmbH.
Die TPS GmbH mit ihren 236 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (davon neun Auszubildende) produziert mittlerweile an verschiedenen Standorten in Daun: Produziert werden Öl-, Gasförder- und Bohrrohre ebenso wie Nahtlos-Edelstahlrohre. „In den vergangenen Jahren hat sich der Anteil der Lieferungen an die Automobilindustrie auf über 50 Prozent erhöht“, erklärt Peter Lepper. Der Exportanteil liege bei über 80 Prozent, die Hälfte des Exports gehe in überseeische Gebiete. Mit TechniSat etwa behauptet man sich erfolgreich auf einem Feld rasanter Entwicklungen. Ganz gleich, ob es um den neuesten Schrei der Technik bei Fernsehern – zum Beispiel das LiveStreaming – geht, oder ob man mit dem neuen TechniPad shoppen, surfen, skypen oder spielen will, Innovation ist an der Tagesordnung.
Nimmt man alle Geschäftsfelder zusammen und bezieht auch die Auslandsvertretungen mit ein, so beschäftigt die Firmengruppe weltweit 2 400 Menschen.
A1-LÜCKENSCHLUSS – UND ZWAR JETZT
Trotz guter Geschäfte, rundum zufrieden ist Peter Lepper nicht. Und das liegt an den Rahmenbedingungen, an den Standortfaktoren. Beispiel: Verkehrsanbindung. Lepper: „Bereits 1977 wurde von der hiesigen Verwaltung ausgeführt, dass der Lückenschluss der A1 kurzfristig erfolgen wird. Bis auf wenige Kilometer ist leider nichts geschehen. Wohlgemerkt, wir schreiben jetzt das Jahr 2013. Wir sind zu weit entfernt von den Flughäfen und den Ballungsgebieten. Öffentlicher Verkehr: praktisch kaum vorhanden.“ Selbsthilfe war angesagt: Um nicht abgekoppelt zu sein, wurde ein Büro in Ratingen bei Düsseldorf eröffnet.
Beispiel: Fachkräftemangel. Fachkräfte von draußen zu bekommen, sei äußerst schwierig und in einigen Bereichen unmöglich. „Wir versuchen seit vielen Jahren, sowohl im kaufmännischen als auch im gewerblichen Bereich unsere Auszubildenden zu Fachkräften zu machen“, erzählt der Unternehmer. Es sei TPS zugute gekommen, dass diese gut ausgebildeten Mitarbeiter sich weiterentwickeln konnten und loyal zur Firma stehen.
Beispiel: Energiekosten: „Wir sind einer der größten Stromverbraucher in der Verbandsgemeinde Daun, bekommen aber anders als Großbetriebe keinerlei Abschläge. Mehr noch. Wir haben von Jahr zu Jahr mit höheren Stromkosten zu kalkulieren.“ Wichtig sei, dass die Werke genügend Strom bekommen, „was heute aufgrund der Leitungssituation in der Eifel nicht immer üblich ist“.
DEN WEGZUG VON JUGENDLICHEN STOPPEN
Peter Lepper wird nicht müde zu fordern, den Lückenschluss der A1 „ohne Wenn und Aber“ und ohne neue, teure Untersuchungen umzusetzen. Auch die Bahnstrecke Trier-Gerolstein-Jünkerath-Köln solle endlich elektrifiziert werden, die Fahrtzeiten müssten drastisch reduziert, die Bahnhöfe Jünkerath und Gerolstein runderneuert werden. Einsatz dazu erwarte er von den Kammern. Und natürlich von der Politik, wenngleich „wir im Wesentlichen die Hoffnung dazu aufgegeben haben“. Er wünscht sich eine „sehr aktive Wirtschaftsförderungsgesellschaft im Vulkaneifelkreis“, damit weitere Betriebe in der Region angesiedelt werden können und der Wegzug von Jugendlichen gestoppt wird.
SITZE NICHT AUF DER ANKLAGEBANK
Die Rahmenbedingungen müssen stimmen, damit Unternehmen erfolgreich wirtschaften können. Davon ist auch Hanns Rendenbach überzeugt. Sein Anliegen ist es, sich mit anderen oder eben für sie dafür einzusetzen. Keine Frage. Aber: Was für andere Betriebe wichtig und richtig ist, muss nicht unbedingt auf sein Unternehmen übertragbar sein. „Also, ich bin niemand, der auf der Anklagebank sitzt“, sagt der Chef der Lederfabrik Joh. Rendenbach jr. GmbH & Co. KG und kommt eher auf „leisen Sohlen“ daher.
Von außen betrachtet könnte der Standort der Fabrik im Herzen der Stadt Trier ein großer Nachteil sein. Kein breiter Boulevard, auf dem die Lastwagen mit den hochwertigen Produkten den Weg zu den Kunden finden. Doch das Gegenteil ist der Fall: „Wir waren gut beraten, diesem Standort die Treue zu halten.“ Andere Gerber der Stadt, die ihr Glück auf der grünen Wiese suchten, gebe es längst nicht mehr.
WENN NATUR ZU LEDER WIRD
Hanns Rendenbach führt das Unternehmen in vierter Generation. Sein Urgroßvater Johann Rendenbach hatte 1871 den Grundstein gelegt und sich ganz bewusst für den Standort entschieden. Denn die äußeren Faktoren stimmten: Es gab einen Bach, Grund- und Wasserrecht, und nicht zuletzt hatte das Wasser den spezifischen Härtegrad, der das Gerben von Leder gelingen lässt. Auch hielt und hält die Natur Eichen- und Fichtenrinde bereit, „ganz entscheidende Rohstoffe“. Rendenbach: „Das erklärt unsere Gebundenheit an den Standort. Und natürlich die Verbundenheit.“ Weitere Zutaten kommen aus Südafrika (Mimosarinde) und der Türkei (Valoneafrüchte).
Dass es so gut läuft mit der Lederfabrik, hat tatsächlich etwas mit diesen Standortfaktoren zu. Denn die Ledersohle mit dem Qualitätssiegel „JR“ ist ein hochwertiges Produkt, das weltweit begehrt ist. Rendenbach hat bewusst auf Qualität gesetzt und produziert Premiumprodukte. Qualität ist deshalb möglich, weil der Betrieb weltweit das einzige Unternehmen ist, das immer noch nach der traditionellen Eichenloh-Grubengerbung arbeitet. „Neun Monate, manchmal auch ein Jahr, nimmt dieser aufwändige Gerbprozess in Anspruch“, erklärt der Firmenchef. Diese Zeit braucht das ausgesuchte Rohmaterial in den uralten Eichengruben, um sich mit Hilfe natürlicher Gerbstoffe in ein besonders hochwertiges Leder, ein Bodenleder, zu verwandeln.
Rendenbach: „Da braucht man schon einen langen Atem.“ Insofern trifft die Beschreibung von JR-Ledersohlen irgendwie auch auf das Unternehmen zu: „Echte Langstreckenläufer. Robust und dabei enorm flexibel, atmungsaktiv, langlebig, auf gesunder Basis.“ Neben der Schuhreparatur und der Schuhorthopädie beliefert Rendenbach renommierte Schuhmanufakturen für rahmengenähte Herrenschuhe.
MARKETING-INSTRUMENT: TRIER UND DIE REGION
Andere Rahmenbedingungen stimmten ebenfalls, so gebe es ein vernünftiges Netzwerk zwischen Politik, Verwaltung und Unternehmen. Auch die weichen Standortfaktoren seien in Ordnung und wichtige Faktoren für erfolgreiches Wirtschaften. Zum Beispiel, wenn es darum geht, Fachkräfte zu finden. „Wir suchen ja eher die Exoten – staatlich geprüfte Lederingenieure zum Beispiel. Wir arbeiten in einer Nische“, erklärt Rendenbach. Da werde man eher auf dem überregionalen und internationalen Arbeitsmarkt fündig. Und genau an dieser Stelle seien die weichen Faktoren von Vorteil: die Lebensqualität, die Schönheit der Region, die Kultur, die Atmosphäre in Trier, die vergleichsweise niedrigen Lebenshaltungskosten. So mancher Mitarbeiter ist auch deshalb länger als vielleicht geplant in Trier geblieben. „Ich habe gutes Personal: loyal, fleißig, kompetent.“
Der Export der Premiumprodukte macht 70 Prozent aus, Absatzmärkte sind Europa, die USA und Asien. Hanns Rendenbach ist es ein Anliegen, Meinungsführer aus der Branche nach Trier zu holen. Busweise kommen Besucher aus aller Welt in die Lederfabrik: „Die Qualität kann man so am besten vermitteln: Man muss sehen, wie unsere Produkte entstehen, man muss das riechen, fühlen.“ Betriebsbesichtigung, Stadtführung, Weinprobe, Ausflug an die Mosel – Hanns Rendenbach schnürt den Gästen stets ein schönes Paket. „Das ist etwas, das hängen bleibt. Insofern ist unser Standort ein wichtiges Marketing-Mittel.“
Natürlich seien in Deutschland die Umwelt-Auflagen höher als in anderen europäischen Ländern. Dafür bekomme der Kunde aber auch ein sauberes Produkt. Auch insgesamt stehe man in einem harten Wettbewerb. Das beste Argument, nicht dem Preiswahn zu verfallen, sei, die Produkte sprechen zu lassen: „Unsere Sohlen sind eben qualitativ besser und anders als die schnell gegerbten aus fernen Ländern.“