01.07.2007
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold
Dieser Text ist vom 01.07.2007 und könnte inhaltlich veraltet sein.
Erste Erfahrungen mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
Am 18. August feiert das AGG seinen ersten Geburtstag. Umgangssprachlich auch Antidiskriminierungsgesetz genannt realisiert es europäisches Recht und hat zum Ziel, ungerechtfertigte Benachteiligungen aus Gründen der Rasse, der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion, der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Die einerseits komplizierten, andererseits vagen Ausformulierungen der einzelnen Paragrafen jedoch sorgen bei den Personalern der Betriebe nicht unbedingt für Klarheit, sondern vertiefen die Unsicherheit. Die Gratwanderung des Gesetzgebers, einerseits den mutmaßlich Benachteiligten umfassenden Schutz zu gewähren, aber andererseits groteske Ergebnisse zu vermeiden, hat zahlreiche Ausnahmen von der Regel nach sich gezogen. Faktisch ist eine Grenze zwischen einer erlaubten Ungleichbehandlung und einer schadensersatzpflichtigen Benachteiligung nur schwer zu erkennen. Zudem ist das AGG als so genanntes lernendes Gesetz konzipiert. Das heißt: Die enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe werden erst durch höchstrichterliche Entscheidungen in der Praxis geklärt.
UNKLARHEIT AUF ALLEN SEITEN
Als logische Folge übernehmen somit Arbeitgeber die Rolle von Versuchskaninchen mit dem Risiko, trotz besten Wissens und Gewissens mit bestimmten Maßnahmen letztlich falsch zu liegen und damit Schadenersatz leisten zu müssen. Rudolf Heibel, bei der IHK Trier für Arbeitsrechtsfragen zuständig, kennt zahlreiche Praxisbeispiele, wie sich Kündigungsschreiben, Bewerbungsablehnungen, Beförderungen oder Stellenausschreibungen zu Fallstricken für die Unternehmer entwickeln: „Die Regelungen bezüglich verbotener Kriterien sind so umfassend, dass sich auf der Basis des AGG nahezu überall im Betriebsalltag Benachteiligungen suchen und finden lassen. Jede Einstellung, jede Beförderung und alle Maßnahmen, die sich positiv oder negativ für einen Mitarbeiter auswirken, können unter Berufung auf das Gesetz angegriffen werden.“ Etwas Gutes jedoch habe die allgemeine Verunsicherung: „Sie hat auch auf Seiten der Arbeitnehmer dazu geführt, dass sie nur sehr zurückhaltend bis gar nicht von den Möglichkeiten Gebrauch machen, die das Gesetzt bietet.“ Die erwartete Klagewelle blieb bislang aus. Doch einschlägige Referenten, die Personaler in punkto AGG informieren, raten unisono zur wortkargen Vorsicht und dazu, besser ohne Begründung oder Details zum Beispiel Bewerbungen abzulehnen als den Stellenanwärtern mit Hinweisen auf Einstellungshindernisse Hilfen für die weitere Jobsuche zu geben.
ARBEITGEBER TRAGEN DIE BEWEISLAST
Arbeitgeber dürfen sich nicht in falscher Sicherheit wiegen. Denn: „Die Sanktionen gegen sie reichen von der Unwirksamkeit getroffener Maßnahmen über das Recht der Arbeitnehmervertretung zur rechtlichen Klage bis hin zu individuellen Ansprüchen der Diskriminierten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld und auch das Recht zur Arbeitsverweigerung“, so Heibel. Erleichtert werde die Durchsetzung der Arbeitnehmeransprüche durch eine gesetzliche Umkehr der Beweislast. Die greife bereits beim Vortrag geeigneter Diskriminierungsindizien und könne den Arbeitgeber zur Begründung und Rechtfertigung seines Handelns zwingen. Wer es unterlasse, die Mitarbeiter aufzuklären – auch in Bezug auf mögliche Diskriminierungen der Beschäftigten untereinander, die ebenfalls Gegenstand des AGG sind und Schritte gegen die diskriminierenden Personen bis hin zu deren Kündigung erfordern – und durch geeignete Schulungsmaßnahmen fortzubilden, der gerate allein durch dieses Versäumnis in die Problematik der Beweislastumkehr. Zudem sei es sehr wichtig, eine betriebliche Beschwerdestelle zu benennen, an die sich Arbeitnehmer wenden können, die sich nach Paragraf 1 AGG benachteiligt sehen. „Die Beschwerdestelle kann die Personalabteilung sein, wobei zu beachten ist, dass nach jüngster Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Hamburg der Betriebsrat bei diesem Punkt einzuschalten ist“, empfiehlt Heibel. Ein Aushang mit dem Gesetzestext und Paragraf 61b des Arbeitsgerichtsgesetzes ist ebenfalls ein Muss. Sämtliche Betriebsvereinbarungen sind im Übrigen auf Benachteiligungsmerkmale zu überprüfen.Angelika Koch